Vor einiger Zeit habe ich meiner Community die Frage gestellt, was für sie wichtiger ist: Technische Perfektion oder die reine Bildaussage.
Als Fotograf beschäftigt man sich notgedrungen mehrmals während seiner Karriere mit dieser Frage. Das erste Mal tritt dieser Gedanke wohl auf, wenn man als Hobbyfotograf seine ersten eigenen Fotos betrachtet. Entweder gefällt einem die Lichtsituation, die man eingefangen hat und man ist so fasziniert von dieser, das man das Motiv nicht mehr objektiv betrachten kann. Oder man ist so gebannt von dem abgebildeten Moment, dass man über technische Mängel hinwegblickt.

Ich habe meine Meinung über die Aufteilung vom technischen und emotionalen Wert eines Bildes und diese deckt sich mit den Meisten eurer Aussagen. Aber dazu kommen wir später nochmal genauer. Wie bin ich dazu gekommen, euch diese Frage zu stellen? Den Beitrag und alle Antworten könnt ihr euch auch hier nochmal durchlesen.

Jeder kennt die Situation: In Facebook, auf tumblr oder pinterest geht ein (fotografischer) Eintrag viral und man kann sich einfach nicht erklären, wieso. Die Bildaussage ist ja ganz nett, aber die Umsetzung ist eine grenzenlose Katastrophe. Wie kann den Leuten sowas nicht auffallen? Besonders für Fotografen ein Stich ins Herz. Sind wir im Zeitalter von Facebook, das die Bildqualität ins Bodenlose komprimieren möchte, schon so an Pixelmatsche gewöhnt, das wir sie nicht mehr erkennen? Sind wir so geblendet von der Sehnsucht nach neuen Ideen, das uns die Umsetzung nicht interessiert?
Vielleicht liegt es auch daran, das besonders die Medienwelt uns rund um die Uhr glaubhaft machen möchte, das Perfektion der Weg zur Erfüllung ist aber wir uns zunehmend gegen diese Darstellung wehren wollen. Im Prinzip ist es eine beruhigende Erkenntnis, das etwas mit Gefühl betrachtet und nicht nur oberflächlich wahrgenommen wird. Aber wo kämen wir dann als Fotograf hin?

Die Geschichte im Bild ist das Wichtigste. Das habt ihr in euren Kommentaren sehr deutlich gemacht und ich bin froh, das die technische Perfektion zwar angestrebt wird aber trotzdem nicht Priorität hat. Nicht, weil mich das im Beruf als Fotograf entlastet, sondern weil hier ein deutlicher Unterschied zwischen dem kreativen Beruf und dem reinen Handwerk gezogen wird.

Wer es schafft, mehr als nur eine leere Hülle in seinen Fotos abzubilden, der wird merken, wie erfüllt man sich als Künstler fühlen kann. Wie überwältigend es ist, sich durch Bildsprache auszudrücken und der Welt etwas mitzuteilen, ohne dafür sprechen zu müssen. Man unterschätzt die Wirkung von Bildern, bis man begreift, welche Gefühle man in Menschen auslösen kann. Jedes Foto, das man teilt, hat eine Wirkung. Manchmal ist es sogar eine andere Wirkung als die, die man sich als Erschaffer erhofft hat. Ein Bild kann einen Menschen nur so weit bewegen, wie der Mensch selbst auch gewillt ist, sich diesem hinzugeben. In anderen Worten: Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
Du entscheidest nicht, ob der Mensch Wut oder Liebe empfindet, wenn er sich dein Bild ansieht. Ob er sich schuldig fühlt, weil er Assoziationen entwickelt. Sucht ein Mensch nach einem Hinweis, wird er ihn in deinem Bild finden, egal was deine Thematik ist. Aber hier kommt der entscheidende Punkt: Deine Macht besteht darin, deinem Bild wert zu verleihen. Du hast keine Macht darüber, wie die Menschen dein Bild letztendlich wahrnehmen. Aussage, oder keine Aussage. Also lege besser dein Herz hinein. Das Bild, das der Eine ignorant weiterblättert, kann jemand anderes zum innehalten bewegen. Das Bild, das für jemanden unscheinbar wirkt, kann für einen anderen die Erinnerung an alte Zeiten bedeuten. Dies geschieht aber nur, wenn dein Bild eine Seele hat – und das ist in den meisten Fällen deine.

Kommen wir nun aber zum Knackpunkt der ganzen Geschichte: Was für einen Sinn hat der Beruf Fotograf denn jetzt eigentlich, wenn die meisten Leute nur auf den Inhalt achten und nicht auf die technische Umsetzung? Ich bin der Meinung, das sich hier die Spreu vom Weizen trennt. Meistens merken die Menschen nämlich gar nicht, wie gezielt ihre Blicke und Wahrnehmungen durch eine aktive Bildsprache gelenkt werden können.
Es gibt Unmengen an Fotografen, die es sich hart erarbeitet haben, ein technisch reines Bild zu erzeugen. Es ist nicht einfach, aber man kann es erlernen. Auch hier braucht man Gefühl und entwickelt mit zunehmender Erfahrung immer mehr Intuition für seine Umsetzungen.
Es gibt ebenso viele Fotografen, die, wie im vorigen Absatz beschrieben, es schaffen, einem Foto eine Seele und einen emotionalen Wert zu verleihen.
Aber sind wir mal ganz ehrlich: Wie viele Fotografen gibt es, die beides vereinen?

Jetzt mag sich der ein oder andere fragen: Aber die Technik ist doch nur 2. Priorität – wieso soll es so wichtig sein beides zu können? – Weil deine Zielgruppe es von dir verlangt. Weil es wichtig ist, den Blick auf etwas bestimmtes im Bild zu lenken. Weil es wichtig ist, das die Leute klar erkennen, worum es geht.
Blättere ich durch die wichtigsten Fotos der Geschichte, treffe ich meist auf solch seltene Verschmelzungen von technischer Perfektion und emotionalem Bildwert. Das sind nicht nur Bilder, die Menschen bewegen, sondern dies sind auch die Bilder, die beständig bleiben. Bilder des Jahrzehntes, manchmal sogar Bilder des Jahrhunderts. Egal ob es um die besten Pressebilder oder beeindruckendsten Naturereignisse geht – der Moment war wichtig, aber das Licht war es auch. Zu verstehen, wie diese beiden Werkzeuge ineinander greifen ist wichtig für die Umsetzung und für die beste Arbeit, die ein Fotograf seinem Kunden geben kann. Du hast nur diese eine Chance und jedes Bild, das du mit der Welt teilst, nimmt Einfluss auf sie. Also sorge lieber dafür, dass die Welt wirklich erkennt, was in dem Foto passiert.

 Foto: Arko Datta – Trauer um ein indisches Opfer des Tsunamis in 2004
Wichtige Bildelemente: Die diagonale Linie zum Anschnitt, der Schatten der schwer nach unten drückt

Foto: Brent Stirton – Parkwächter im Kongo, die den aufgebahrten Leichnam eines Berggorillas tragen
Wichtige Bildelemente: Zentralisierung des Motives (Problems), Helfer die es umkreisen (Zusammenhalt)

Foto: Steve McCurry – “Afghan Girl”- Flüchtlingsmädchen dessen Augen von einem Ausdruck aus Furcht, Angst und Schrecken des Afghanistankriegs gekennzeichnet sind, aber zugleich auch ein ebenso großes Maß an Stärke, Stolz und Schönheit widerspiegeln
Wichtige Bildelemente: Komplementäre und wiederkehrende Farben, Fokus auf den Augen, Lichtsetzung mit sanftem Schatten

Foto: Rich Lam – Vancouver Riot Kiss Couple – Nach einem Hockeyspiel und Ausschreitungen wurden die beiden quasi von den Polizisten überrannt. Der Australier versucht seine kanadische Freundin zu beruhigen – und mitten im Chaos entsteht ein Bild, das zum Symbol wird.
Wichtige Bildelemente: Wichtigste Kontrapunkte im goldenen Schnitt (Körper und Polizist), Kuss fast sogar im Mittelpunkt, Problem durch Gefühl (Beruhigung) ausblenden (Unschärfe)

Foto: Harry Benson – Aufgenommen auf der 1. US-Tour der Beatles
Wichtige Bildelemente: Abfallender Linienverlauf der Köpfe und von Hell nach Dunkel, durchgehende Schärfe die nicht ablenkt

Foto: John Stanmeyer – Afrikanische Migranten am nächtlichen Strand von Dschibuti
Wichtige Bildelemente: Wiederkehrende Farben, Aufteilung der Elemente (Silhouetten, Handys, Mond) im Bildschnitt

Foto: Lyle Owerko – Am 11. September wurden abertausende Fotos der Zwillingstürme geschossen – und nur seins hat es auf das TIME Magazine Cover geschafft.
Wichtige Bildelemente: Zu der grandiosen Linienführung im Bild brauche ich ja wohl nichts sagen

Foto: Wei Seng Chen – Pacu Jawi Bullen-Rennen
Wichtige Bildelemente: Symmetrie, durchgehende Schärfe, Abgrenzung des Motives geschieht durch Hintergrund (Matsch und Farbe)

Foto: Yongzhi Chu – ein Zirkusaffe in China, der Angst vor seinem “Trainer” hat
Wichtige Bildelemente:  Augenhöhe um sich in die Lage des Opfers zu begeben, wichtigste Elemente im goldenen Schnitt (Ruhe vs. Gewalt)

Diese Liste könnte man mit vielen Fotos aus den verschiedensten Branchen (z.B. Fashion, Sport, Industrial usw.) unendlich fortführen. Wer sich für so etwas interessiert, kann sich gerne mal durch die letzten Jahrzehnte des World Press Photo Awards blättern. Eins steht aber fest: In den Bildern zählt nicht nur der Moment. Die Darstellung, sei es durch Licht, Schnitt oder Komposition lässt das Motiv erst richtig zum Leben erwachen.

Glück ist, was einem passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.

Liebste Grüße,
deine Carina

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